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Metatarsalgie
infolge erzwungener Vorfußdeformierung
Becker,
N.L.1, Obens, T.2
Orthopädische Praxisgemeinschaft, Wilhelmstraße 134, 72074
Tübingen
Privates Institut für angewandte Biomechanik, Wilhelmstraße 134,
72074 Tübingen
e-mail: beckern@tuebingen.netsurf.de
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ZUSAMMENFASSUNG:
Erfährt der Vorfuß
des Menschen durch äußere Einflüsse (z.B. Schuhe) eine langandauernde
Belastungs- und/oder Form-veränderung, verändert sich die topographische
Anatomie des Vorfußes. Die physiologischen Belastungsmöglichkeiten
werden eingeschränkt und das Vorfußgefüge überlastet. Es resultiert
daraus z.B. eine Metatarsalgie, ein Spreizfuß, ein Hallux valgus
isoliert oder in Kombination mit anderen Fußfehlern und Fußübeln.
Vorbeugend gegen diese Krankheitsursachen sollte der Schuh den Fuß
weder in Form und Funktion einschränken noch zusätzlich belasten.
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Das Vorfußgefüge
ist derart flexibel,daß es sich bei Belastung des Fußes
auch einer Hohlkehlung anpaßt.
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PROBLEMSTELLUNG:
Zu einem wichtigen
Kulturgut (als Mode- und Statussymbol) zählt der Schuh. Stehen Status
und Modebewußtsein der Schuhe im Vordergrund, wird die Biomechanik
des Fußes vernachlässigt, die Auswirkung auf die Gesundheit und
das Wohlbefinden bleibt unbeachtet. Um den Schuh gefälliger, schmaler
und kleinvolumiger zu gestalten, versucht die Schuhindustrie das
tatsächliche Volumen des Fußes im Schuh zu verstecken. In vielen
Fällen wird der Schuhboden zur Rinne ausgehöhlt und mit dem schmalen
Schaft der Fuß in diese Rinne gedrückt; die Belastung durch das
Körpergewicht unterstützt diese Zwangsstellung. Hierbei erfährt
der Vorfuß eine Umkehrung seiner natürlichen Vorfußstruktur (an
Stelle eines vorderen Quergewölbes bildet der Vorfuß eine "Hängebrücke").
Die gesamte funktionale Struktur des Vorfußes wird beeinträchtigt
und sogar zerstört, es kommt unter anderem zum entzündlichen Spreizfuß,
zur schmerzhaften Metatarsalgie und zur Instabilität des Vorfußes
bei Belastung.
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Belastungsvorstellungen des Vorfußes:
A: Die Brückenfunktion bleibt erhalten. Eine vordere Querwölbung
ist vorhanden, die Hauptbelastung liegt auf den Strahlen 1 + 5.
- aus der "älteren" Literatur: "So wird der Fuß belastet".
B: Die Belastung erfolgt im Wesentlichen unter den Mittelfußköpfchen
II, III und IV. - aus Messungen der Druckverteilung: "Der normale
Fuß".
C: Belastung auf allen Metatarsalköpfchen. Dabei sollte sich eine
homogene Druckverteilung unter den Metatarsalia ergeben. Ideale
Form der Belastung.
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Der Frontalschnitt durch den belasteten Vorfuß zeigt, daß die
stabilisierenden Strukturen, wie Ligamentum metatarsum transversum
profundum, Fasciculi transversi sowie Caput obliquus des musc. Flexor
halluzis unterhalb des Äquators der Mittelfußköpfchen liegen. Eine
potentielle Öffnung des Bogens nach unten ist nicht vorgesehen.
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Aufgeschnittener, gebrauchter Konfektionsschuh im Vorfußbereich.
Deutlich erkennbar ist die Hohlkehlung des Vorfußbereiches nach
Aufbrauch des Schuhes. Großzehen- und Kleinzehenstrahl werden im
Schuh höhergelegt, die Strahlen II und III müssen tiefertreten.
Daß hier (im zentralen Bereich des Vorfußes) Belastung auftritt,
zeigt sich daran, daß dort die Schuhsohle am meisten aufgebraucht
ist..
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Barfuß auf ebenem Boden als auch in einem "neutralen" Schuh
verläuft das Abrollen des Fußes (charakterisiert durch die "Gait-Line")
von der Mitte der Ferse über den lateralen Mittel-fußbereich zur
Mitte des Ballens und von dort zur Groß- und 2. Zehe. Als normales
Belastungsprofil des Vorfußes muß angesehen werden, daß im Vorfuß-bereich
Belastungsspitzen unter dem Metatarsale II und III-Köpfchen auftreten,
die an Höhe die Belastungsspitzen unter Metatarsale I und V übertreffen.
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Darstellung der Vorfußbelastung in konventionellem Röntgen,
Computer-tomogramm und Kernspintomogramm: Unter Belastung paßt sich
der Fuß einer Hohlkehle an, die Köpfchen der Metatarsalia hängen
durch und treten gegenüber dem 1. und dem 5. Strahl tiefer. Der
Vorfuß "bricht durch".
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MATERIAL und METHODE:
20 unauffällige Füsse wurden in Bezug auf die Form des vorderen
Quergewölbes barfuß und im Schuh bei Belastung mit Körpergewicht
mit radiologischen, computertomographischen und kernspintomographischen
Analyseverfahren untersucht. Mit planteren Druckverteilungsmessungen
(System pedar) wurde sowohl im Stand als auch im Gang und Lauf kontrolliert,
wo und mit welcher Belastung der Vorfuß im Schuh Kontakt mit dem
Untergrund aufnimmt. Die erhaltenen Werte wurden mit denen beim
Stand, Gang und Lauf barfuß auf einer ebenen Druckverteilungsmeßplatte
(System emed-SF) ermittelten Werten verglichen.
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ERGEBNISSE:
Sowohl barfuß auf ebenem Untergrund als auch im Schuh ist eine
deutliche Druckbelastung unter den Metatarsalia II und III festzustellen.
Die Analysen der Form des vorderen Quergewölbes zeigen eine Anpassung
der Fußstruktur an den jeweiligen Untergrund. Da dieser Untergrund
in vielen Schuhen weder plan noch der Gewölbeform des unbelasteten
Vorfußes angepaßt ist, sondern eine Rinne bildet, wird das vordere
Quergewölbe im Schuh zur Formumkehr gezwungen. Es hängt nicht nur
durch sondern nimmt auch noch in unphysiologischer Stellung Belastung
auf. Diese Umkehrung der physiologischen Strukturen des Vorfußes
führt einerseits zu einer deutlichen Einschränkung der Funktionsmöglichkeiten
(Kraft-, Druck- und Belastungsreduktion) des Fußes und andererseits
zu einer Überbelastung des Vorfußes. Die visuellen (z.B. Hallux
valgus) und/oder schmerzhaften Formveränderungen wie der (entzündliche)
Spreizfuß und die Metatarsalgie sind Folgeerscheinung der unphysiologischen
Einwirkungen auf den Fuß und der unphysiologischen Verhaltensweise
des Fußes.
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Darstellung der Vorfußbelastung in konventionellem Röntgen,
Computer-tomogramm und Kernspintomogramm: Unter Belastung des Vorfußes
auf planem Untergrund hängt das vordere Querfußgefüge, der sogenannte
vordere Bogen, nicht durch. Die Metatarsal-köpfchen horizontalisieren
sich.
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Unterstützung des belasteten Fußes mit einer querstabilen Metallplatte.
Der Fuß bricht mit einer Metallplatte, wie sie als Brandsohle verwendet
wird, nicht mehr durch, das quere Vorfußgefüge hängt nicht durch.
Der Fuß erhält eine ideale Unterstützungsfläche.
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SCHLUSSFOLGERUNGEN:
Die von außen (z.B. durch einen Schuh) ausgeübte Formveränderung
des Fußes führt zu einer unphysiologischen (Über-) Belastung des
Fußes und begünstigt oder bedingt damit zahlreiche Fuß-erkrankungen
wie den entzündlichen Spreizfuß, die schmerzhafte Metatarsalgie
und die Zehenfehl-stellungen. Gelingt es, dem Fuß auch im Schuh
einen natürlichen (ebenen) Untergrund anzubieten, der es ihm ermöglicht,
seine Belastungen funktionsgerecht zu kompensieren, sollte sich
die Ausprägung schmerzhafter Spreizfüße und Metatarsalgien deutlich
verringern lassen.
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Literatur: Abramson, E.: Zur Kenntnis der Mechanik
des Mittelfußes, 1927
Becker, N.L.: Laufspezifische Verletzungen und Überlastungsbeschwerden
- medizinische Anforderungen an den Sportschuh, 1987
Becker, N.L.: Vorfußdeformierung bei planem und balligem Untergrund, 1994
Beely, F.: Zur Mechanik des Stehens, 1882
Hennig, E.M.: Die Dreipunktunterstützung des Fußes. Eine Druckverteilungsanalyse
bei statischer und dynamischer Belastung, 1993
Kummer, B.: Funktionelle Anatomie des Vorfußes, 1967 Tillmann, B.: Untere
Extremität, 1987
Vidalot, A.: Der sog. Standardfuß, 1993
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